Einführung in die Untersuchung „GENDER TECHNIK MUSEUM. Strategien für eine gendergerechte Museumspraxis“
Daniela Döring, Hannah Fitsch, Sabine Hark
Technikmuseen sind Bildungsinstitutionen, sie bewahren und zeigen historische Exponate und sind so beteiligt an der Definition kultureller Wertvorstellungen, Vorbilder und gesellschaftlicher Wahrheiten. Als Ort der Repräsentation generieren sie Identitätskonzepte und sind auf allen Ebenen – von der Personalpolitik über Sammlungsstrategien bis hin zur Ausstellungsinszenierung und den Vermittlungsangeboten – komplex von der Kategorie Geschlecht durchdrungen. Die feministische Frauen- und Genderforschung hat in zahlreichen Studien zur Repräsentanz von Frauen in den Technik- und Naturwissenschaften nicht nur auf die Ausschlüsse von Frauen aus den großen Geschichtserzählungen verwiesen, sondern auch tiefgreifende strukturelle und symbolische Ungleichheiten in Wissenschaft und Gesellschaft herausgearbeitet.[1] Dabei ist die Frage, was zum kulturellen Erbe wird, an ein Wissenschaftsverständnis geknüpft, das sich über die Geschichte großer technologischer Erfindungen legitimiert. Den männlichen Protagonisten dieses Fortschrittgedankens stehen zumeist weibliche Randfiguren gegenüber: Frauen werden in technikgeschichtlichen Ausstellungen als Ehefrau und Begleitung, als Arbeiterin in weiblich stigmatisierten Sphären, als Konsumentin, im Haushalt oder als Exotin und Ausnahmefall dargestellt. In der Ausstellungsgestaltung kommt die patriarchale Geschlechterordnung auch insofern symbolisch zum Ausdruck, als dass auf weibliche Allegorien, unbenannte, dekorative und funktionslose Hintergrundbilder, stellvertretende Bezeichnungen durch Frauennamen oder auf Metaphern zurückgegriffen wird. Die Sammlungen und Repräsentationen in technischen Museen konzentrieren sich vornehmlich auf große Maschinen, Apparate und Original-Objekte mit technischen Daten. Eisenbahnen, Webstühle, Flugzeuge, Fahrräder, Computer, Radio- und Fernsehapparate verobjektivieren so die technische Geschichte und vernachlässigen notwendige kulturgeschichtliche, gesellschaftliche und geschlechtspolitische Lebensbedingungen und Kontexte. Geschichte und Geschlecht sind indessen nicht gegeben, sondern gemacht und so mehrdeutig interpretierbar.
Bislang haben diese Einsichten nur partiell Eingang in die Museumspraxis gefunden. Einen einführenden Überblick über die museale Repräsentation von Frauen- und Geschlechtergeschichte legten Muttenthaler und Wonisch mit ihrem Buch Rollenbilder im Museum vor (Muttenthaler / Wonisch 2010). Die Autorinnen entwickelten zudem die Kategorien Gender und Race als Analyseinstrument anhand exemplarischer Studien in kunst- und naturhistorischen sowie ethnologischen Museen (Muttenthaler / Wonisch 2006).[2] Leitfäden für die geschlechterspezifische Analyse und Überarbeitung von Ausstellungen wurden für das Kunstmuseum (vgl. Unger 2009) und museumsübergreifend (vgl. Ebeling 2016) publiziert. Aktuell ist eine erste systematische Untersuchung von geschlechtsbezogenen Ungleichheiten in Technikmuseen, ihren Ursachen sowie Vorschläge zur Veränderung der Museumspraxis erschienen (vgl. Döpfner 2016). Daran anknüpfend bedarf es weiterer, intensiver Diskussionen und Strategien, um die Geschlechtergerechtigkeit als Querschnittsaufgabe in der Sammlungs-, Ausstellungs-, Vermittlungs- sowie in der Personalpolitik von technischen Museen strukturell zu verankern und zu verwirklichen. Zwischen den Ergebnissen geschlechterwissenschaftlicher Forschung und der gegenwärtigen wissenschaftlichen und gestaltenden Arbeit in Technikmuseen besteht eine immense Kluft. Dabei kann gerade die Genderforschung breite Innovationspotentiale für ein Museum zur Verfügung stellen, das sich derzeit nicht zuletzt unter dem Druck knapper Budgets sowie den neuen Möglichkeiten des Digitalen neu erfindet.
Einen ersten, breit rezipierten, feministischen Vorstoß in die Museumspraxis gab es bereits in den siebziger und achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, allerdings hauptsächlich auf Kunst- und Kulturmuseen ausgerichtet. In dieser Zeit wurden auch die ersten Frauenmuseen gegründet, um bisher wenig beachtete weibliche Kunst, Erfahrungen und Tätigkeiten zu würdigen und ihnen einen eigenen Raum zu geben (vgl. Kraszny 2013). Das Konzept wird indessen ambivalent diskutiert, da Frauenmuseen abseits des historischen Kanons einen speziellen Ort erhalten, der wiederum den unveränderten Fortbestand der männlichen Kultur in traditionellen Museen legitimiert (vgl. Hauer u.a. 1997). Weitere Strategien waren und sind das Kuratieren von spezifischen Sonderausstellungen und Interventionen in Dauerausstellungen (vgl. z.B. Wonisch 2013). Die Thematisierung und Sichtbarmachung von Geschlecht steht dabei immer vor der Herausforderung, den Sonderstatus des ‚Anderen‘ (nicht) zu reproduzieren und gegen den Widerstand der etablierten Ausstellungspraxis anzukämpfen (vgl. Döring / John 2015). So kann es nicht allein um die Integration von weiblichen Leistungen und Erfahrungen in die museale Repräsentation gehen, sondern um eine andere Art der Darstellung und Inszenierung von Technik.
Die museale und wissenschaftliche Arbeit in Technikmuseen basiert traditionell auf einem engen und reduzierten Technikbegriff. In den Ausstellungen und Sammlungen wird das als weiß und männlich bestimmte Wesen der Technologie materialisiert (vgl. Saupe 2003; Bösl 2015). Es wird zu einer Norm, die geschlechtsgebundene, aber auch schichten- und klassenspezifische sowie ethnisch kodierte Ausschlüsse und Ungleichheiten produziert. Gegenwärtig wenden sich jedoch viele Museen einer Kulturgeschichte der Technik zu, die auch die ‚gelebten Realitäten‘ der Menschen, denen im Verlauf der Geschichte unterschiedliche Möglichkeiten zur Gestaltung von Berufs- und Lebensentwürfen zur Verfügung standen, zeigen möchte. Dabei kann die Genderforschung, insbesondere die Erkenntnisse der feministischen Technik- und Naturwissenschaftskritik, dazu beitragen, neue Perspektiven auf das Museum zu entwickeln. Die feministische Kritik an der als allgemeingültig inszenierten, letztlich aber eurozentrischen, männlichen Geschichtsschreibung erhält auch von anderen Disziplinen Zuspruch. So beschäftigt sich die Ethnologie seit geraumer Zeit mit hegemonialen Repräsentationsformen des ‚Anderen‘ sowie mit den (neo-)kolonialen Politiken der musealen Institution (vgl. Bose u.a. 2012). Die Museumswissenschaft selbst entwirf kritische Thesen für die Öffnung und Erweiterung der Institution, etwa durch die Befragung von Machtverhältnissen, Hierarchien und Ordnungen bezüglich Objekt, Autor*innenschaft, Publikum und Institution (vgl. Macdonald 2010). Dieser Kritik wird in der Museumslandschaft mit unterschiedlichen Ansätzen des reflexiven Sammelns, Kuratierens und Vermittelns begegnet; ob diese indes bereits als „reflexive turn“ (ARGE 2013: 9) postuliert werden können, muss sich zeigen.
Die Institution Museum befindet sich kurzum, wenn nicht gar in einer Krise, so im Ringen um eine Neudefinition. Diese Befragung und Erweiterung bietet freilich die Chance, Impulse der Genderstudies einzubringen und eine gemeinsame Diskussion zwischen wissenschaftlicher Forschung und musealer Praxis zu eröffnen. Die Reflexion von sozialen und kulturellen Vorannahmen, Abhängigkeiten und Machtverhältnissen hat das große Potential, das Museum zu einer gendergerechteren Bildungsinstitution zu machen, vielfältigere Identifikationsangebote bereitzustellen und somit die Partizipation von Frauen* und anderen marginalisierten Gruppen zu ermöglichen.
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Vorhaben GENDER TECHNIK MUSEUM. Strategien für Geschlechtergerechtigkeit in der Sammlungs-, Ausstellungs-, Vermittlungs- und Personalpolitik technischer Museen wurde vom 1.10.2015 bis 30.9.2016 am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG) der Technischen Universität Berlin realisiert. Es initiierte im deutschsprachigen Raum einen Erfahrungsaustausch und die Vernetzung zwischen Technikmuseen, der Geschlechterforschung sowie Förderprogrammen für Frauen in Naturwissenschaft und Technik. Dabei ging es einerseits darum, das Innovationspotential der Genderforschung in die museale Praxis einzubringen, und andererseits, Aspekte der materiellen Kultur, kuratorische und ästhetische Praktiken für die angewandte Forschung produktiv zu machen. Die Zusammenarbeit zwischen wissenschaftstheoretischen Ansätzen und Erfahrungen in der Bildungsarbeit wurde gestärkt und ein Wissenschafts-Praxis-Dialog auf den Weg gebracht.
Auftakt des Projektes bildete die Konferenz Techno|logien der Geschlechter? Strategien für eine gendergerechte Museumspraxis, die am Deutschen Technikmuseum Berlin vom 10.-11.12.2015 stattfand. Vertreter*innen aus verschiedenen Disziplinen, Kurator*innen und Museumsmitarbeiter*innen diskutierten hier geschlechtsbedingte Ungleichheiten und Praxisbeispiele sowie Ansätze für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Die Konferenzbeiträge finden sich mehrheitlich in diesem Band; sie geben einen breiten Überblick über aktuelle Fragen, Handlungsfelder und Instrumente für das Museumfeld.
Der Schwerpunkt des Projektes war eine empirische Untersuchung in fünf technischen Museen. Untersucht wurde, welches Genderwissen, welche Kompetenzen und Diskussionen in der Sammlungs-, Ausstellungs-, Vermittlungs- und Personalpolitik vorhanden sind. Mithilfe der Methode des Gendermapping wurden 40 Expert*inneninterviews in folgenden Institutionen geführt:
- Deutsches Museum München
- Technisches Museum Wien
- Deutsches Technikmuseum Berlin
- Militärhistorisches Museum Dresden
- Museum der Arbeit Hamburg
Zudem wurde am Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam die Sonderausstellung uni-form? Körper, Mode und Arbeit nach Maß kuratorisch und konzeptionell beraten. Die Befragung sowie die Begleitung eines konkreten Ausstellungsprojektes zielten darauf ab, Best Practices und Kompetenzen, aber auch Problematiken und Bedarfe für die Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit in der Museumsarbeit herauszuarbeiten. Das Vorhaben lieferte eine erste Bestandsaufnahme und lädt dazu ein, Ansätze für eine reflexive und gendergerechte Museumspraxis weiter zu diskutieren und zu entwickeln.
Literaturnachweis
ARGE schnittpunkt (Hg.) (2013): Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis. Wien, Köln, Weimar, Böhlau
Bösl, Elsbeth (2015): Geschlecht als Gegenstand und als Kategorie in der Technikgeschichte. In: Conrad, Anne / Blume, Johanne E. / Moos, Jennifer J* (Hg.): Frauen – Männer – Queer. Ansätze und Perspektiven aus der historischen Genderforschung. St. Ingbert, Röhrig, S. 47-66
Bose, Fred von / Poehls, Kerstin / Schneider, Franka / Schulze, Annett / (Hg.) (2012): Museum X. Zur Neuvermessung eines mehrdimensionalen Raumes. Neuauflage. Berlin, Panama
Cockburn, Cynthia / Ormrod, Susan (Hg.) (1993): Gender and Technology in the Making. London u.a., Sage
Döpfner, Anna (2016): Frauen im Technikmuseum. Ursachen und Lösungen für gendergerechtes Sammeln und Ausstellen. Bielefeld, transcript
Döring, Daniela / John, Jennifer (Hg.) (2015): Re-Visionen des Museums? Praktiken der Sichtbarmachung auf dem Feld des Politischen. FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur. Nr. 58. URL: www.fkw-journal.de/index.php/fkw/issue/view/66 (10.08.2016)
Ebeling, Smilla (2016): Museum & Gender. Ein Leitfaden. Münster, New York, Waxmann. URL: www.waxmann.com/fileadmin/media/zusatztexte/3403Volltext.pdf (04.08.2016)
Götschel, Helene / Daduna, Hans (2001): PerspektivenWechsel. Frauen- und Geschlechterforschung zu Mathematik und Naturwissenschaften. Mössingen-Talheim, Talheimer
Hauer, Gerlinde / Muttenthaler, Roswitha / Schober, Anna / Wonisch, Regina (1997): Das inszenierte Geschlecht. Feministische Strategien in Museen. Wien, Böhlau
Heßler, Martina (2012): Kulturgeschichte der Technik. Frankfurt am Main, New York, Campus
Hinterberger, Monika (2008): „Da wir alle Bürgerinnen sind…“ (anno 1313). Frauen- und Geschlechtergeschichte in historischen Museen. Opladen, Farmington Hills, Budrich
Krasny, Elke / Frauenmuseum Meran (Hg.) (2013): Women’s:Museum Curatorial Politics in Feminism, Education, History, and Art. Wien, Löcker
Macdonald, Sharon (2010): Museen erforschen. Für eine Museumswissenschaft in der Erweiterung. In: Baur, Joachim (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes. Bielefeld, transcript, S. 49-69
Muttenthaler, Roswitha / Wonisch, Regina (2010): Rollenbilder im Museum. Was erzählen Museen über Männer und Frauen? Schwalbach, Wochenschau-Verlag
Muttenthaler, Roswitha / Wonisch, Regina (Hg.) (2006): Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen. Bielefeld, transcript
Saupe, Angelika (2003): Vergeschlechtlichte Technik – über Geschichte und Struktur der feministischen Technikkritik. In: ZtG Bulletin Texte. Nr. 25, S. 1-26
Scheich, Elvira (1993): Die zwei Geschlechter der Naturwissenschaft: Ideologie, Objektivität, Verhältnis. In: Verein Feministische Wissenschaft Schweiz / Verein FrauenForum Naturwissenschaften (Hg.): Im Widerstreit mit der Objektivität. Zürich, Dortmund, eFeF, S. 35-53
Schmitz, Sigrid / Schinzel, Britta (Hg.) (2004): Grenzgänge. Genderforschung in Informatik und Naturwissenschaften. Königstein im Taunus, Helmer
Tyburczy, Jennifer (2016): Sex Museums. The Politics and Performance of Display. Chicago, London, University of Chicago Press
Unger, Petra (2009): Leitfaden: Gender im Blick. Geschlechtergerechte Vermittlung im öffentlichen Raum und in Museen. Hg. v. Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur. Wien. URL: www.bmbf.gv.at/schulen/unterricht/ba/leitfadengenderimblick_18722.pdf (13.05.2016)
Wajcman, Judy (1994): Technik und Geschlecht: die feministische Technikdebatte. Frankfurt am Main, Campus
Wonisch, Regina (2013): Zum Potential wissenschaftlicher Interventionen in Museen am Beispiel des Projektes „Männerwelten und Frauenzimmer“. In: Binder, Beate / Bose, Friedrich von / Ebell, Katrin / Hess, Sabine / Keinz, Anika (Hg.): Eingreifen, Kritisieren, Verändern!? Interventionen ethnographisch und gendertheoretisch. Münster, Westfälisches Dampfboot
[1] Vgl. u.a. Cockburn / Ormrod 1993; Scheich 1993; Wajcman 1994; Götschel / Daduna 2001; Schmitz / Schinzel 2004.
[2] Zur Analysekategorie Sexualität siehe Levin 2010; Tyburczy 2016. Zur frauen- und geschlechtergeschichtlichen Repräsentationsformen in historischen Museen vgl. Hinterberger 2008.